Adobe greift Print an!

»Das Jahr ist noch keine zwei Monate alt und doch haben viele ihre Neujahrsvorsätze schon wieder über Bord geworfen«, beginnt eine Presseinformation, in der Adobe unter dem Titel »Papier adé: Den Druck rausnehmen.« dazu auffordert, »das ganze Jahr über ein Augenmerk auf papierreduziertes Verhalten zu legen: sowohl privat als auch im Job.« Text Klaus-Peter Nicolay und Knud Wassermann

Druck- und Medienbranche

Richtig Freude kommt auf, wenn man dann weiterliest: »Wir können beeindruckende Resultate erzielen, indem wir bewusst den einen oder anderen Druckauftrag nicht erteilen. Durch die Reduktion unseres Verbrauchs können wir denkbar einfach Ressourcen sparen und unseren CO2-Fußabdruck merklich verringern.« Diese Arroganz ist ja wohl der Super-GAU für eine Geschäftsbeziehung. Entweder hat Adobe den Blick auf die Realität verloren oder die Leute in der Presseabteilung sind nicht up to date – mit Sicherheit sind sie aber zu jung, um zu wissen, dass ihr Brötchengeber mit dem Drucken und der Druckindustrie erst groß geworden ist! Wir haben eine,al versucht die Dinge richtig einzuordnen!

Noch heute produziert jeder Belichter, jedes CtP-System mit einem PostScript-RIP oder einer PDF-Engine. In jedem Druckereibetrieb wird mit Acrobat gearbeitet, fast alle Betriebe nutzen InDesign, Photoshop, Illustrator und vor allem Schriften, an denen sich Adobe in der Vergangenheit eine goldene Nase verdient hat, und erst vor Jahresfrist mit dem Aufkündigen des Supports der Type-1-Schriften für Frust, Ärger und Kosten bei den Anwendern gesorgt hat, weil Hunderte von Schriften, deren Lizenz man vor zig Jahren teuer gekauft wurden, über Nacht nicht mehr einsetzbar und damit quasi Schrott sind.

Und jetzt attackiert Adobe diese Kunden, indem dazu aufgefordert wird, ihnen keine Druckaufträge mehr zu erteilen. Noch dazu mit einem vorgeschobenen Nachhaltigkeitsgetue und Argumenten, die – wie sollte es anders sein – sich auf Papier, dessen Verbrauch und Herstellung beziehen und falscher nicht sein könnten. Dazu später noch. Da muss man sich erst einmal die Augen reiben. Vielleicht ist Adobe ja tatsächlich so arrogant und glaubt, dass man sich solche Kapriolen leisten kann, weil die Druckereien ja ohnehin von ihrer Software abhängig sind?

Es gibt auch Alternativen!
Ganz so ist es auch! Zum Beispiel die aktuelle Version von Quark XPress. Eine unbefristete Lizenz kostet da zurzeit 524,00 € und qualitativ steht das Programm für grafische Anwendungen dem Platzhirsch InDesign in nichts nach. Das Erzeugen von PDFs ist sauber und unkompliziert – und die Type-1-Schriften können auch wieder genutzt werden!

Als Alternative bietet sich auch die Affinity-Suite vom Hersteller Serif an, die aus drei Produkten besteht: einem Layoutprogramm namens Publisher, einer Bildbearbeitung mit dem passenden Namen Photo und einem Illustrationsprogramm, Designer genannt. Paketkosten zurzeit 199,99 Euro. Es gibt noch weitere Alternativen wie den Viva Designer oder Marktstein Publisher. Doch diese Auswahl sollte erst einmal genügen.

Auch für Acrobat gibt es einige starke Alternativen wie den Foxit PDF Reader, den PDF-XChange Editor oder den Icecream Editor. Die Programme sind allesamt kostenlos. Ab 125,00 $ gibt es aber auch professionelle Versionen wie Soda PDF Pro, Kofax Power PDF, Nitro Pro oder den Foxit Phantom PDF. Das erfordert vielleicht etwas Schulungsaufwand, aber der eine oder andere ältere Mitarbeiter wird sich zum Beispiel mit Quark XPress noch auskennen. Mit dieser alternativen Konfiguration spart jeder Betrieb einige Tausend Euro ein. Und ist vor allem sicher, dass man ohne Befürchtungen auch noch arbeiten kann, wenn die Cloud mal nicht funktioniert. Dann wird sich auch der Erfinder des PDFs und Experte für digitales Dokumentenmanagement freuen, wie einfach und vor allem effizient es ist, Adobe-reduziert zu agieren und diesen Vorsatz langfristig zu verfolgen.

So einfach ist es nicht
Was Adobe da betreibt, ist Schwarz-Weiß-Malerei, um nicht zu sagen, Greenwashing in Reinstform. Print schlecht – Digital gut. So einfach kann man es sich nicht machen. Auch nicht Adobe! Als Global Player sollte Adobe schon über die Ressourcen verfügen, auch die CO2-Belastung der digitalen Kommunikation in eine solche Betrachtung mit einfließen zu lassen. Wenn nicht, kann ich das an dieser Stelle gerne tun. Dazu müssen wir uns aber noch einmal mit den Zahlen beschäftigen, die Adobe als Argument nennt, um Print anzugreifen. Da heißt es in der Pressemitteilung: »Nach Angaben des Umweltbundesamts wurden im Jahr 2022 rechnerisch 211,6 Kilogramm Pappe, Papier und Karton pro Kopf in Deutschland verbraucht – eine Zahl weit über dem europäischen Durchschnitt. Die Herstellung benötigt große Mengen Holz, Energie und Chemikalien. Vor allem aber verschlingt die Produktion auch unglaublich viel Wasser. Allein bei der Herstellung eines einzigen Blatts Papier werden ganze 10 Liter(!) Wasser verbraucht.«

Zum Papierverbrauch
Die Zahlen des Umweltbundesamtes sind unstrittig. Deutschland gehört zu den Ländern mit dem höchsten Pro-Kopf-Verbrauch an Papier. Das hat aber einen Grund. Was also steckt dahinter? Mit dem Papierverbrauch wird, ohne es näher zu bezeichnen, auch Karton und Pappe miterfasst. Nun sollte man fairerweise aber auch berücksichtigen, wie sich der Papierverbrauch zusammensetzt. Und da relativieren sich die 211,6 kg sehr schnell.

Papier, Karton und Pappe spielen im gesamten Handel, aber vor allem auch beim Export von Produkten eine bedeutende Rolle. Verpackungen aus Papier oder Karton sind für Unternehmen die nachhaltigste Variante, ihre Waren sicher ins Ausland zu exportieren. Auf den Bereich der grafischen Papiere entfallen 31 % vom Pro-Kopf-Umsatz (aktuelle Zahlen sprechen von 27,5 % im Papiermix). 2021 lag die Summe also bei 65,6 kg, die durch Drucksachen, Bücher, Magazine und Zeitungen verbraucht wurden.

 

Schaut man sich nur die Papiermenge an, die tatsächlich durch die Hände des einzelnen Verbrauchers geht, dann liegen wir bei einem Papierverbrauch von ganz grob 100 Kilo pro Kopf. Nun werden die Deutschen aber nicht zu Unrecht als Weltmeister im Papier-Recycling bezeichnet. So hat die Arbeitsgemeinschaft Graphische Papiere (AGRAPA) ihre seit 1994 bestehenden Selbstverpflichtungserklärung auch 2023 wieder erneuert. Danach ist die Recycling-Quote dauerhaft auf einem Niveau von 80 % (plus/minus 3 %) zu halten. Was auch eingehalten wird. So liegt die Recycling-Quote derzeit dem Verband Deutscher Papierfabriken zufolge bei 78 %. Das heißt auch: Für die Produktion von 100 Kilo Papier werden im Schnitt 78 Kilo Altpapier eingesetzt. Bei Verpackungspapieren sind es meist sogar 100 %. Mit dem »Blauen Engel« wird 100%-iges Recyclingpapier gekennzeichnet. Trotzdem zählt auch dieses Papier in der Statistik natürlich als verbrauchtes Papier.

Durchforsten ist kein Baumfällen
»Die Herstellung benötigt große Mengen Holz, Energie und Chemikalien,« heißt es in dem Pressetext. Nun gehört die Papierindustrie zweifellos zu den energieintensiven Industrien in Deutschland, obwohl der spezifische Energiebedarf in den letzten Jahrzehnten dramatisch reduziert wurde. Dennoch ist es vor allem der Energieverbrauch, weshalb das Papier rechnerisch 80 % der CO2-Emissionen einer Drucksache ausmacht. Was allerdings, wie wir später sehen werden, kein KO-Kriterium für Print sein kann. Was »große Mengen« an Chemikalien angeht, fallen bei der Papierproduktion in Deutschland 67,8 % Altpapier, 15,7 % Zellstoff, 3,3 % Holzstoff und 12,9 % Mineralien und Additive an (das sind in erster Linie Füllstoffe, Stärke und Streichpigmente). Große Mengen an Chemie sind hier eher nicht zu auszumachen.

Es hält sich das Gerücht hartnäckig, dass für die Herstellung von Papier Unmengen an Bäumen gefällt werden müssten und die europäischen Wälder deshalb schrumpfen. Richtig ist, dass das Holz für Papiere mit Frischfaseranteil vor allem aus Sägewerksabfällen und Durchforstungsholz stammt. Wertvolles Stammholz wird in der Möbelindustrie eingesetzt und wäre für die Papierproduktion viel zu teuer. Durchforstung ist für Wälder übrigens eine zwingende Notwendigkeit. Bei der Gelegenheit ist ein Blick auf die Holznutzung in Deutschland noch äußerst interessant. Hierzulande beträgt das jährliche Gesamtaufkommen, also die »Ernte« von Holz rund 135,5 Mio. Festmeter (1 Fm ist 1 m³ feste Holzmaße). Und jetzt kommt es: 50 % des gefällten Holzes werden verbrannt (in Energie oder Wärme umgewandelt). Für die Verwendung als Baumaterial und für die Möbelindustrie fallen 40 % an, Holzschliff und Zellstoff machen lediglich bei 8 % aus. Von wegen »für Papier müssen ganze Wälder sterben«.

Das Gegenteil ist der Fall. In der deutschen Forstwirtschaft entstand vor 300 Jahren erstmals das Prinzip der Nachhaltigkeit: Demnach wird nicht mehr Holz genutzt, als nachwächst. So wuchsen zwischen 2005 und 2020 auch die europäischen Wälder um 58.390 km² – das ist eine Fläche, die noch um 17.100 km² größer ist als die Schweiz. Und täglich kommt noch einmal eine Menge von  1.500 Fußballfeldern dazu. Pro Tag! Schließlich ist die Papier- und Forstindustrie schon aus Eigeninteresse an einer nachhaltigen Waldbewirtschaftung interessiert.

 

Der Naturschutzbund dürfte über alle Industrie-Informationen erhaben sein, bestätigt aber den nur 31%-igen Anteil am gesamten Papierverbrauch.

Nutzen ist nicht verbrauchen
„Allein bei der Herstellung eines einzigen Blatts Papier werden ganze 10 Liter(!) Wasser verbraucht“, behauptet Adobe. Also, wenn schon mit Zahlen zur Papierherstellung operiert wird, sollte doch bitte aktuelles Zahlenmaterial verwendet werden und nicht irgendeine Nummer, die bei Google an erster Stelle erscheint. Die spezifische Abwassermenge pro Kilogramm Papier, die gemeinhin als Messgröße für den Wasserverbrauch in der Papierindustrie genannt wird, lag noch in den 1970er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts bei knapp 50 Litern. Heute liegt sie bei 8,7 Litern pro Kilogramm!

Ein klassisches Blatt Kopierpapier mit 80 g/m² liegt laut Formel bei (29,7 x 21) x 80 g/m² geteilt durch 10.000 also bei 4,99 g pro Blatt. Demnach werden 8,7 Liter Wasser für 200 Blatt Papier genutzt. Richtig gelesen: genutzt. Denn dieses Wasser wird nur gebraucht, nicht verbraucht! Rund 30 % der Abwässer aus der Papierproduktion werden – nach einer Vorreinigung – an kommunale Kläranlagen abgegeben. Die restlichen 70 % werden in modernen betriebseigenen Anlagen mechanisch und biologisch gereinigt. Immerhin 4 % der Papierproduktion kommt aus Werken, die ihren Wasserkreislauf völlig geschlossen haben.

Entnahme ist also nicht gleich Verbrauch! Das in der europäischen Papierindustrie eingesetzte Wassers wird nach der Verwendung und Aufbereitung (zum Teil sauberer als zuvor) der Quelle wieder zugeführt. Dass eine Nutzung nicht identisch mit einem Verbrauch ist, sollte gerade einem Software-Hersteller, dessen Geschäftsmodell darauf beruht, eigentlich einleuchten.

CO2-Emissionen bei 1,0 %
Fehleinschätzungen liegen auch bei der Thematik CO2-Emissionen vor. So liegt der Fußabdruck, den die gesamte Druckindustrie in Deutschland hinterlässt, nach Berechnungen des Umweltbundesamtes bei weniger als 1,0 % der Gesamtemissionen. Das beinhaltet natürlich auch das eingesetzte Papier, weshalb die Energiemenge bei der Papierherstellung kaum ins Gewicht fällt. Dagegen beansprucht unser digitaler Lebensstil von den etwa 10,8 t CO2-Emissionen pro Kopf etwa 8,0 % – wenn nicht sogar mehr.

Abschließend und ergänzend dazu noch eine Zahl: Die Softwareindustrie ist für rund 3 % der weltweiten CO2-Emissionen verantwortlich, was in etwa dem Anteil der Luftfahrtindustrie entspricht. Wenn Adobe der Umwelt also etwas Gutes tun will, sollte das Unternehmen vielleicht doch an anderer Stelle ansetzen. Über die Nützlichkeit oder Sinnhaftigkeit von Drucksachen und ob gedruckte Botschaften noch zeitgemäß sind, können wir gerne bei Gelegenheit diskutieren.

Das Feedback von Adobe
Wir haben natürlich Kontakt mit Adobe aufgenommen und es wurde aus versichert, dass die Aussendung nicht als Angriff auf »Print« zu verstehen ist. Adobe gehe es um die Digitalisierung im Büroalltag. Hier würden viele Druckaufträge sorglos erteilt, die eher Gewohnheit als einer äußeren Notwendigkeit geschuldet seien. Im Fokus stehe die Effizienzsteigerung und damit einhergehende Kosteneinsparungen. Die Interpretation »Print schlecht. Digital gut« entspreche nicht der Perspektive von Adobe und sei auch nicht Gegenstand der Infomail. Selbstverständlich würde Printmedien weiterhin ihre Berechtigung behalten, völlig unbestritten haben sie eigene Vorteile, einen ganz eigenen Charme und genießen oftmals hohen emotionalen Wert sowie Glaubwürdigkeit.

Das kann man ja so stellen lassen, allerdings kommt es in der Infomail schon anders rüber: Die Print-Community würden sich von Adobe genauso eine breit angelegte Kommunikation wünschen, die die positiven Aspekte von Print in der gesamten Medien- und Kommunikationslandschaft darstellt und aufzeigt wie sich die unterschiedlichen Kanäle gegenseitig optimal ergänzen.

Quellen:

https://papierkannmehr.de/nachhaltigkeit/warum-verbrauchen-wir-deutschen-so-viel-papier

https://www.ecodesignkit.de/materialien/papiere

https://www.unendlich-viel-energie.de/themen/waerme/holzenergie-waerme-und-strom-aus-dem-wald

https://www.bluehands.de/wissenswelt/detail/wieviel-co2-steckt-in-der-softwareentwicklung-meines-projektes/

 

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