Die Vernetzung aller Produktionsbereiche in der Druckindustrie war bisher nur ein frommer Wunsch. Das Job-Definition-Format (JDF) war dafür ausgelegt, hier einen Standard zu etablieren. Die Anfänge waren durchaus vielversprechend, es schien, als würde mit JDF endlich der Durchbruch gelingen. Über die Jahre aber entstanden unterschiedliche Dialekte von JDF, was eine systemübergreifende Kommunikation schwierig machte. JDF mag in einer homogenen Produktionstechnik funktionieren, doch die Realität in den meisten Druckereien sieht anders aus – großteils zu heterogen.
In mittelgroßen Druckereien arbeiten rund 40 unterschiedliche Maschinen und Software-Lösungen verschiedener Hersteller, die in der Regel nicht ein und dieselbe Sprache sprechen. »Eine prozessübergreifende Vernetzung ist der letzte Schatz, den Druckereien noch heben können, um ihre Margen zu retten.« Damit beschreibt Markus Morawe, Geschäftsführer der Tessitura GmbH, die aktuelle Lage der Branche. All die Jahre sei es nur um neue Maschinen, günstigere Einkaufspreise, Prozesse und Personal gegangen. Das Thema »Vernetzung« aber sei ausgereizt geblieben. »Jetzt geht es wirklich darum, die Turnschuh-Workflows endgültig aus den Druckereien zu verbannen.«
Einheitliches Protokoll geschaffen
Mit der Middleware-Suite Odeon, den dazugehörigen Modulen und einem einheitlichen Protokoll verspricht Tessitura, alle Maschinen unabhängig vom Hersteller oder Alter miteinander zu vernetzen und mit dem jeweiligen MIS-System zu verbinden. Und wenn Markus Morawe von allen spricht, dann meint er auch alle – von einer modernen Offset- oder Digital-Druckmaschine bis hin zu einem Tiegel oder Zylinder.
Für die Kommunikation zwischen der analogen und der digitalen Produktionswelt sorgen sogenannte Worker, die mithilfe des einheitlichen Protokolls Odeon Talk, eine transparente Kommunikation ermöglichen, und zwar in beide Richtungen – von der Maschine in den Workflow und wieder zurück. »Wir verwenden skalierbare Standardkomponenten, Kunden können dadurch ohne großen technischen und finanziellen Aufwand die Vernetzung einleiten und zahlen dafür monatlich eine überschaubare Gebühr. Für uns stehen hier Transparenz und Modularität im Vordergrund«, versichert Markus Morawe. Dies sei auch vor dem Hintergrund der angespannten Situation in der Druckbranche ein zentraler Punkt, denn individuelle Vernetzungsprojekte könne sich heute niemand mehr leisten.
Wer steht hinter Tessitura?
Die Tessitura GmbH wurde 2021 gegründet und ist ein Tochterunternehmen der Steuber GmbH & Co. KG. Das deutsche Unternehmen kann auf eine mehr als hundertjährige Geschichte zurückblicken und wird aktuell in dritter Generation von Stephan Steuber geführt. Steuber ist einer der letzten verbliebenen grafischen Systemhäuser in Deutschland, das so ziemlich alles liefert, was das Herz einer Druckerei begehrt – von der Hard- über die Software bis hin zu Verbrauchsmaterialien. Aktuell umfasst der Webshop über 3000 Positionen. Mit dieser Ausrichtung verfügt Steuber über ein umfassendes Know-how über alle Prozesse in der Druckindustrie hinweg und kennt auch die Problematik um das Thema Vernetzung.
Ein universeller Baukasten
Als Gesellschaftsform hat man sich für eine eigene GmbH entschieden und das ganz bewusst, da man in Projekten auch mit Marktbegleitern zusammenarbeitet und gleichzeitig eine Internationalisierung anstrebt. Aktuell beschäftigt Tessitura zehn Mitarbeiter*innen – der Großteil arbeitet in der Soft- und Hardware-Entwicklung. Bereits Ende 2022 konnte man die ersten kleineren Projekte erfolgreich auf den Bogen bringen. Dabei habe man auch erkannt, dass sich die Lösung sowohl für den Akzidenz- als auch für den Verpackungsdruck eignet. »Ich will nicht von einer Plug-and-Play-Lösung sprechen, denn so einfach ist es dann doch nicht. Wir greifen aber auf Standardkomponenten zurück und vernetzen Mensch, Maschinen und Software miteinander. Um hier nicht jedes Mal von vorne zu beginnen, haben wir mit Odeon-Talk einen Standard entwickelt, der die Übersetzung zwischen den einzelnen Komponenten ermöglicht. Damit haben wir einen universellen Baukasten geschaffen, mit dem wir jede nur denkbare Vernetzung abdecken können«, versichert der Geschäftsführer.
Ein Tiegel wird cloudfähig
Tessitura hat auch eine Klassifizierung der Maschinen und Anlagen vorgenommen und darauf aufbauend entsprechende Lösungen entwickelt. Die jüngste Generation an Maschinen fällt in die Kategorie »smart«. Sie liefern kontinuierlich Daten, die über den Software-Connector »Odeon Worker« abgegriffen und an die Odeon-Plattform geschickt werden. Die Maschinengeneration aus den 2000er-Jahren arbeitet mit einem Low-Level-Protokoll, sie fallen unter die Kategorie »intelligent«. Sie liefern zwar nicht die Fülle an Daten, wie dies die smarten Maschinen tun, aber auch hier stellt der Worker die nötige Verbindung her. Maschinen, die über absolut keine Netzwerkkomponente verfügen, wie etwa ein Tiegel, gehören zur Kategorie »classic«. Dafür wurde die »Connect Box« entwickelt, die in die Maschine eingebaut mittels Sensoren bestimmte Parameter der Maschine erfasst und in ein digitales Format umwandelt. Dadurch wird selbst ein Tiegel cloudfähig, was auf einer Plantafel sichtbar ist und grundlegende Betriebsdaten liefert. Tessitura hat sich aufgrund der anfallenden Datenmengen und den Geschwindigkeitsvorteilen für eine Cloud-Lösung entschieden. Dabei setzt man ganz bewusst auf die Deutsche Telekom, um so das Vertrauen der Kunden punkto Datensicherheit zu gewinnen.
Tools für die Visual Factory
Tessitura hat aber noch weitere interessante Tools entwickelt, die über die reine Vernetzung hinausgehen. Eines davon ist der »Visualizer«, ein Real-Time-Monitoring-Dashboard, auf dem alle eingebundenen Maschinen sichtbar sind. Das Ganze funktioniert auch ortsunabhängig per remote. So lässt sich schnell erkennen, wie die Produktion läuft und in welchen Bereichen Probleme auftreten. »Control« wiederum ist ein Tool zur Produktionssteuerung – und das auch standortübergreifend. Und mit »Odeon-Display« lassen sich wichtige Kennzahlen aus der Produktion in Echtzeit sichtbar darstellen. Das Odeon-Display liefert einen aktuellen Status der Maschine direkt an der Maschine. »Ich denke, damit haben wir das Thema Visual Factory gut abgedeckt.«
Das Partner-Netzwerk wächst
Seinen ersten großen öffentlichen Auftritt feierte Tessitura auf der drupa 2024. Seitdem konnte man das Partner-Netzwerk deutlich ausbauen. Das Thema sei in der Branche gelandet, das habe man auch auf den Hunkeler Innovationdays in Luzern bei den großen Digitaldruck-Herstellern gespürt. Zu den Partnern gehören bereits einige führende ERP- und Web-to-Print-Entwickler wie be.print, Calibrate, DVS Software, Keyline, Obility, aber auch Maschinenbauer wie Hunkeler, Horizon, Koenig & Bauer, MBO Komori konnte man als Partner gewinnen.
Grundsätzlich bindet Tessitura auch Maschinen und Software ein, die nicht von Partnerunternehmen stammen. Bis dato habe man die meisten Anbindungen mit Druckmaschinen von Heidelberg und Koenig & Bauer an ein ERP-System realisiert. Das liege an der Marktdurchdringung dieser Hersteller. Es geht also auch ohne. Doch Markus Morawe betont, dass eine Partnerschaft mit handfesten Vorteilen verbunden sei. Dazu gehöre eine langfristige, funktionierende Schnittstelle, die Odeon-ready ist. Zudem kann jeder Partner als Seller und Reseller auftreten und dabei selbst Tessiura-Lösungen verkaufen oder sie sogar unter eigenem Namen vertreiben.
Großer Hebel zur Optimierung
Aus Sicht von Tessitura gehören Druckereien ab einer Größenordnung von 50 Mitarbeitern zu den Zielkunden. Hier sei eine entsprechende Menge an Hard- und Software im Einsatz, über die sich ein großer Hebel zur Optimierung ergibt. Dabei spielt es keine Rolle, ob es sich um eine Akzidenz- oder Verpackungsdruckerei handelt. Wichtig sei nur, dass sich die Kunden mit dem Thema Transformation bereits beschäftigt haben und über ein gewisses IT-Verständnis verfügen. Im Klartext heißt das, dass ein Wissen darüber vorhanden sein muss, was eine cloudbasierte Applikation im Gegensatz zu einer On-Premise-Installation bringt.
Erste Anwender der Odeon-Plattform
Zu den ersten Kunden zählen etwa Livonia Print aus Lettland oder die Gundlach Packaging Group in Deutschland. Beide Unternehmen kann man nicht gerade als KMUs bezeichnen, aber sie haben erkannt, welche Chancen sich mit der Odeon-Plattform auftun. Gundlach hat sogar schon beide Werke miteinander vernetzt. Auch Athesia aus Bozen gehört zum Kundenkreis. Dort wurden drei Roboter von MBO cloudfähig gemacht, die jetzt kontinuierlich Daten an das ERP-System senden.
Transparente Kostenstruktur
Bezüglich Kosten verweist Tessitura auf die transparente Kostenstruktur, womit sich der Kunde die anfallenden Kosten selbst hochrechnen kann. »Der Kunde bezahlt einen monatlichen Betrag für die Dienstleistung, um seine Prozesse effizienter zu gestalten. Im Falle einer smarten und intelligenten Druckmaschine sind für die Anbindung an die Odeon-Plattform 80 Euro zu veranschlagen. Bei einer Classic-Maschine kostet die Connect Box 89 Euro pro Monat, und das optionale Odeon Display kostet 29 Euro pro Monat.«
Viele Kunden würden mit einer einfachen Vernetzung einen Testballon starten und prüfen, wie sich die Sache im laufenden Betrieb entwickelt. Eine smarte Druckmaschine wird über den Software Connector Remote innerhalb einer halben bis ganzen Stunde eingebunden. Bei Classic-Maschinen ist der Aufwand höher, da die Connect Box vor Ort installiert werden muss. Unternehmen mit einer eigenen Haustechnik können das eigenständig erledigen. Sollte ein Service-Techniker benötigt werden, wird ein branchenüblicher Satz verrechnet – das gilt auch für die Beratung. Die Kosten für das Projekt sind somit überschaubar, und Tessitura kümmert sich auch um die Kommunikation mit den Herstellern, sodass der Kunde nicht zwischen die IT-Fronten geraten kann.
Die hohe Kunst der Prozessoptimierung
Abschließend stellt sich auch die Frage, welche Produktivitätssteigerungen sich bei den Kunden nach Installation der Odeon-Plattform eingestellt hat. Das lasse sich nicht so einfach beantworten und hänge von vielen Faktoren ab, betont Markus Morawe. »Unser Leistungsversprechen ist, dass die Verbindungen zwischen den verschiedenen Maschinen und Anlagen bis zum ERP-System und wieder zurück funktionieren und Daten laufend generiert werden.«
Die Interpretation der Daten und die damit verbundene Optimierung sei die hohe Kunst – und die liege beim Kunden. Tessitura bietet im Vorfeld auch Workshops zur Beseitigung von Medienbrüchen und manuellen Abläufen an. Vor Ort werden die Prozesse von der Bestellung bis zur Auslieferung analysiert und konkrete Optimierungsvorschläge erstellt.